Der Autor Yorick Schmit
D’Sandmeedchen ist eine Zusammenarbeit zwischen dir als Autor und Dirk Kesseler, der die Geschichte illustriert hat. Kannst du uns etwas über den Entstehungsprozess erzählen? Sind Text und Illustrationen gleichzeitig entstanden, oder war die Geschichte komplett abgeschlossen, bevor die Illustrationen hinzukamen?
Die Idee war, entweder eine Neuinterpretation eines bekannten Märchens oder ein komplett neues Märchen zu schreiben. Daraufhin habe ich einen kurzen Plot für fünf verschiedene Geschichten geschrieben, über die wir dann zusammen mit Dirk und den Rotondes diskutiert haben, um uns schlussendlich für eine davon zu entscheiden. Das Sandmännchen war dabei eigentlich eine Geschichte, die zwar jeder kennt, aber über deren Kontext nicht viel bekannt ist. Für mich war das Spannende, um diese Figur herum eine neue Geschichte entstehen zu lassen. Einerseits hat man den modernen Aspekt, die Geschichte spielt in unserer Zeit, das Sandmännchen geht in Rente, man sieht ein Auto – andererseits gibt es aber auch die traditionelle Bilderwelt, den Mann im Mond, die Wolken.
Der Text war dann praktisch schon ganz geschrieben, bevor Dirk mit dem Zeichnen begonnen hat, er war aber von Anfang an am Prozess beteiligt. An der Geschichte selbst wurden im Laufe des Arbeitsprozesses dann nur noch kleine Änderungen vorgenommen.
Dieses Projekt ist deine erste Zusammenarbeit für ein illustriertes Buch. War das für dich ein ganz neuer Arbeitsprozess? Gab es Etappen, die leichter oder schwieriger waren als erwartet? Musstest du Spielraum lassen für die Illustrationen, die den Text ergänzen?
Das Schwierigste für mich war, mit so wenig Text auszukommen, maximal zwei bis drei Sätze pro Seite. Um eine halbwegs komplexe Geschichte in einer solch kurzen Form darzustellen und nicht dem Verlangen nachzugeben, mehr schreiben zu wollen, das war das Schwierigste.
Ganz klar, normalerweise ist Schreiben eine relativ isolierte Aktivität, aber das hier war ein ganz anderer Prozess, der neu und ungewohnt für mich war. Natürlich hat man selber eine Idee im Kopf, zum Beispiel, wie das Sandmeedchen aussieht. Es ist interessant und überraschend zu sehen, wie jemand anders das dann interpretiert. Ich würde sagen, im Sandmeedchen steckt sowohl etwas von Dirk als auch von mir. Diese Zusammenarbeit war sicherlich ungewohnt, aber sie bringt natürlich auch neue Impulse, neue Kreativität, die man alleine in dieser Form nicht hat.
Wie ergänzen sich Text und Bild? Welchen Mehrwert kann ein Buch mit Illustrationen und erweiterter Realität bringen, im Vergleich zum Geschichtenerzählen in reiner Textform?
Das Buch sollte sowohl für kleine Kinder funktionieren als auch die Eltern ansprechen, die Erwachsenen also nicht langweilen. Das ist natürlich ein schwieriger Spagat, weil es nicht unbedingt viele Gemeinsamkeiten zwischen einem oder einer Vierjährigen und einem Erwachsenen gibt. Meiner Meinung nach richtet sich die Geschichte primär an jüngere Kinder, während die Zeichnungen von Dirk aber auch Erwachsene ansprechen, so dass ein Kontrast zwischen Bild und Text entstanden ist, eine ästhetische Spannung. Es gibt einen Dialog zwischen beiden Komponenten, aber eben auch diese Spannung, weil die Illustrationen keine typischen Kinderbilder sind. Diese Gegenüberstellung zu machen, ist auch aus einem künstlerischen Blickwinkel interessant.
Die Augmented Reality ist auch für mich etwas Neues. Diese Mischung, eine Art hybride Form zwischen Film und Buch, führt zu einer anderen Beziehung zum Buch. Indem man sich dieses über einen Bildschirm anschaut, beschränkt sich die Geschichte nicht mehr nur auf die Seite, die Bilder werden lebendig.
Die Geschichte ist wie gesagt die moderne Weiterführung eines bekannten Märchens. Wünschst du dir als Autor, dass bei den Kindern ein bestimmtes Gefühl zurückbleibt, nachdem sie die Geschichte entdeckt, erlebt haben?
Ich denke, dass es eine Geschichte über das Alleinsein ist, etwas, womit sich Kinder identifizieren können. Was ich den jungen Lesern und Leserinnen mit auf den Weg geben möchte, ist, dass man vielleicht manchmal glaubt, man wäre allein, aber dass es immer Menschen gibt, die für einen da sind, die auf einen zukommen, wenn man offen dafür ist. Einer der letzten Sätze lautet: „Du bist nicht allein.“ Dirk hat das auch visuell schön umgesetzt, mit den zwei Händen, die aus der Wolke auftauchen und sich an den Händen halten.
Dies ist dein erstes Kinderbuch. Was hat dich motiviert, diesen Auftrag anzunehmen? Gab es spezielle Herausforderungen dabei, für ein junges Publikum zu schreiben?
Ich wollte mich immer schon an ein Kinderbuch wagen. Die Alterskategorie ab 4 Jahren war für mich Neuland, ein Experiment. Was mich natürlich auch sehr angesprochen hat, war die Neuinterpretation eines Märchens. Es ist immer spannend, wenn man mit Formen, mit Stereotypen, mit Klischees der klassischen Märchen spielen kann, beispielsweise bezüglich der Geschlechterrollen. Als Autor ist es immer interessant, wenn man in gewissem Maße subversiv sein kann. Natürlich hat mich auch der Aspekt der Augmented Reality interessiert.
Für mich war es wichtig, eine Balance zu finden zwischen einem Text, der allein Informationen vermittelt, und dem Einbringen eines eigenen Stils. Ich habe das Gefühl, Bücher für kleine Kinder sind oft sehr einfach geschrieben. Mir war es wichtig, auch einige eher ungewöhnliche luxemburgische Wörter zu benutzen, um die Sprache zu bereichern, natürlich ohne dass es zu schwierig wird. Es war eine Art Balanceakt.
Warum sollte man deiner Meinung nach D’Sandmeedchen unbedingt zusammen mit seinen Kindern entdecken?
Auch wenn Kinder heute bereits in sehr jungem Alter häufig mit Tablets in Kontakt kommen, so ist dieses Experiment mit der Augmented Reality meiner Ansicht nach doch etwas, was sie in der Form nicht unbedingt kennen. Vielleicht ist es auch eine Möglichkeit, Kinder, die vielleicht weniger an Büchern interessiert sind, doch zum Lesen anzuregen.
Außerdem liest man Kinderbücher ja normalerweise abends beim Zubettgehen vor, wobei ich mir vorstellen kann, dass ein Buch über das Sandmännchen oder Sandmeedchen einen in die richtige Stimmung versetzt… und vielleicht beim Einschlafen hilft.