LEAP22 Stefania Crişan
Stefania, deine künstlerischen Anfänge liegen in der Malerei. Warum hast du auf andere Methoden zurückgegriffen, nachdem du den Geamăna-See gesehen hast?
Mit Ausnahme von Installationen, in denen es um den Tod der Malerei ging, habe ich damals nur gemalt. Aber als ich diese Landschaft, diese Umweltkatastrophe gesehen habe, habe ich gefilmt, trotz der Verbotsschilder. Die Bilder haben mich bei meiner Rückkehr verfolgt, ich musste ständig daran denken.
Und eines Tages habe ich zu singen begonnen, was ich sonst nie tue. Mir ist ein Lied aus meiner Kindheit in den Sinn gekommen, insbesondere ein ganz bestimmter Satz: „Luminează-mi calea, dătătorule de lumină“ (Erleuchte meinen Weg, du Spender des Lichts). In Wirklichkeit ist es nicht der Weg, sondern das Gewand, aber mein Gedächtnis hat eine Verbindung zu der Landschaft hergestellt, die passte. Dann habe ich ein neues Lied geschrieben, und am Ende dieses Tages voller Gesang hatte ich eine Idee für eine Performance, mit der Erde, der Form des Sees, den Pigmenten, dem Kalziumkarbonat (das dazu dient, um den Säuregehalt des Sees zu neutralisieren). Das war die Geburtsstunde von Reverse the entropy, ein Werk, das ich bereits in fünf Ländern zeigen konnte, das erste Kapitel einer umfassenderen Arbeit.
Der Geamăna-See scheint auf eine schreckliche Weise schön zu sein. Das war mit Sicherheit ein intensives Erlebnis!
Ich habe beim Filmen gezittert! Aber ich habe mich gefragt: Wie kann ich das schön finden? Ich hatte Schuldgefühle und habe mich selbst verantwortlich gefühlt. Man wird von einem romantischen, erhabenen Gefühl erfasst. Aber ich wollte meine Bilder nicht nur aus rein ästhetischer Sicht zeigen. Deshalb habe ich dem Video Untertitel hinzugefügt, eine subjektive Perspektive, die zur Geschichte des Sees zurückführt. Diese so intensive Emotion sollte als Aufruf zum Handeln dienen, es ging nicht darum, die Katastrophe zu ästhetisieren. (unten: Le monde perdu, Foto © Oliver Dietze)
Im Rahmen von LEAP wirst du ein weiteres Werk zeigen, das auf diesem Erlebnis beruht.
Ja, ich werde das Projekt Geamăna mit dem Schwerpunkt auf dem dritten Kapitel, Le monde perdu, präsentieren. Es ist inspiriert von meinem dritten Besuch am See, bei dem ich tote Bienen auf Blumen gesehen habe. Die gesamte Performance ist eine Hommage an die Bienen, mit zwei Stimmen, die die Mantras „Albina‑i pământ, pământu‑i albină“ (Die Biene ist die Erde, die Erde ist eine Biene) und „Catastrofa ne aduce aminte de inima noastră“ (Die Katastrophe erinnert uns an unser Herz) wiederholen.
Die Installation zeigt einen Raum, bei dem es sich um das Innere der auf dem Grund des Sees versunkenen Kirche handeln könnte. Das Fenster ist ein Buntglasfenster, durch das sich die Katastrophe erahnen lässt, die mit Wachs und Lehm gemalt wurde – Lehm stellt für mich eine Verbindung zur Erde dar. Zu sehen ist ein Zeitraffervideo vom Schmelzen und Erwärmen des Wachses in einem Behälter, den ich für das zweite Kapitel, Ophelia and the Anthropocene, modelliert habe. Das Video wird auf eine Trommel projiziert, die meiner Meinung nach etwas Uraltes anklingen lässt und in vielen Kulturen heimisch ist. Sie ist an einem Seil aufgehängt, das in den Himmel zu reichen scheint. Ich male ein anderes Seil aus Ton auf die Wände, das uns mit der Erde verbindet und an die Seilschnitzereien in transsilvanischen Kirchen erinnert. Und dann gibt es auch noch ein autobiografisches Element, das Mehlsieb, eine Erinnerung an meine Großmutter, die ihr Brot selbst gebacken hat, und zugleich eine Metapher für die Erschaffung einer neuen Welt.
Letztendlich sind das Projekt und seine drei Kapitel aus einer einzigen Landschaft, aus einem äußerst intensiv erlebten Moment hervorgegangen. Welche Schlüsse ziehst du daraus für die Entwicklung deiner Praxis?
Ich weiß jetzt, dass ich authentisch bleiben muss und meiner Intuition vertrauen kann – auch wenn ich vor 50 verschiedenen Leuten singen musste, um in gewisser Weise ihre „Bestätigung“ zu bekommen und endlich meine Angst vor dem Singen vor Publikum zu überwinden!
Es sind Werke, die durch Emotionen entstanden sind. Jedes Mal, wenn ich Reverse the entropy aufgeführt habe, konnte ich feststellen, dass das Lied die Herzen der Menschen erreicht, die kommen, um die Kunst zu erleben, die Herzen aller Zuschauer*innen, Menschen und Tiere. Es ist ein fast kathartischer Moment. Es ist viel einfacher, über den See, Ökologie, Ethik und Politik zu sprechen, wenn die Emotionen erst einmal freigesetzt wurden. Letztlich handelt es sich um eine andere, poetischere Form des Aktivismus.
Inwiefern sind Wettbewerbe wie der LEAP für Künstler*innen wichtig?
Wenn ich ehrlich bin, dann ist das Erstellen eines Portfolios und die Bewerbung für die Teilnahme an einem Wettbewerb der Teil meines Berufs, der mir am wenigsten gefällt. Wie soll ich meine Arbeit auf zehn Seiten zusammenfassen? Wie meine Performances anhand einiger Fotos erläutern, wenn selbst das Echo des Raumes wichtig ist und ein Großteil meiner Arbeit auf Intuition beruht?
Was den LEAP betrifft, war ich überzeugt, noch nicht genügend Erfahrung zu haben, um mich zu bewerben. Ein befreundeter Künstler hat mich zum Glück überredet. Ich möchte, dass meine Arbeit gesehen wird, ich möchte die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen. Ich werde nicht von einer Galerie vertreten, war bis vor kurzem etwas misstrauisch und weiß noch nicht so recht, wie man sich in der Kunstwelt bewegt. Also ist ein Preis wie der LEAP eine Chance, Verbindungen zu Institutionen aufzubauen und meine Werke zu zeigen, um die Herzen der Menschen zu berühren.