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LEAP22 Paul Heintz

Ich organisiere meine Arbeiten gern so, dass man lacht und sich fragt, warum.“
© Mike Zenari

Vier Künstlerinnen und Künstler bewerben sich um den LEAP — The Luxembourg Encouragement for Artists Prize, einen Preis für zeitgenössische Kunst, der von den Rotondes ausgerichtet wird. Zu ihnen gehört Paul Heintz, der mithilfe unterschiedlicher Medien der Beziehung zwischen Realität und Fiktion, Wahrheit und Simulation nachgeht.

Paul, was hat für dich den Ausschlag gegeben, dich für den LEAP zu bewerben?

Da ist zum einen die Verbindung, die ich zu den Rotondes habe, weil ich dort bereits ausgestellt habe [Triennale Jeune Création, 2017; Shanzhai Screens, 2019, Anm. d. Red.] Zum anderen sorgen Gruppenausstellungen für die Möglichkeit zu Austausch und Begegnung. Man knüpft Kontakte zu Kunstprofis und Kuratorinnen, aber auf der Basis der künstlerischen Arbeit entstehen auch Freundschaften. Wann immer ich mir einen Raum mit anderen KünstlerInnen geteilt habe, kam es zu tollen Begegnungen, und manchmal entstand bei mir auch der Wunsch nach einer Zusammenarbeit. Das ist interessant, weil sich meine gesamte künstlerische Arbeit ein wenig um die Begegnung mit Unbekannten dreht, mit Menschen, die ich unter normalen Umständen gar nicht kennengelernt hätte.

Der Zufall hat also durch diese spontanen Begegnungen seinen Platz in der Entstehung deiner Werke?

Zu Beginn einer künstlerischen Arbeit erstelle ich gerne ein ziemlich strenges Protokoll. Wenn wir beispielsweise Character nehmen, den Film, den ich beim LEAP zeige, so habe ich mich gefragt, ob es möglich ist, eine Romanfigur zu treffen, in diesem Fall Winston Smith, den Protagonisten aus Georges Orwells 1984. Das Protokoll, das sich daraus ergab, bestand darin, im heutigen England nach Personen mit dem Namen Winston Smith zu suchen und diese zu treffen. Gleichzeitig möchte ich mich selbst da raushalten, ich versuche nicht, meine künstlerischen Wünsche einer Realität aufzudrücken. Ich habe diese Winston Smiths getroffen, ich habe einen Film mit ihnen gemacht, ich habe mir Szenen für sie ausgedacht und geschrieben, aber ich wollte, dass sie die künstlerische Arbeit übernehmen. Ich habe mit ihnen etwas Fiktionales und Poetisches geschaffen, einen Ort, der ihnen nicht verschlossen war, einen Ort, an dem sie erzählen konnten, was ihnen durch den Kopf ging.

Ist es diese Poesie, die dafür sorgt, dass bei dir aus einem düsteren Roman kein kaltes, pessimistisches Werk wird?

Ich fange oft bei Dingen an, die mir in dieser Welt nicht gefallen, verfolge einen dokumentarischen Ansatz und versuche, sie zu transformieren. Je nachdem, wie die Werke montiert werden, können die Resultate etwas kalt wirken. Wenn man die Collagen des Character-Projekts ohne den Film sieht, mit den Briefen, die ich mit einigen Winston Smiths gewechselt habe, oder mit Busfahrkarten, vermittelt dies womöglich eine Art konzeptionelle Rauheit. Diese kann jedoch als Zugang zu etwas Poetischerem dienen. Im Übrigen denke ich, dass meine Projekte Kritik üben, aber nicht auf direkte Weise. Ich sorge dafür, dass man lacht und sich fragt, warum. Das ist die Art und Weise, wie ich meine kritischen Arbeiten gern organisiere.

Character gehört zu deinen jüngsten Werken. Was sagt es über deine Praxis und die Entwicklung deiner Arbeit?

Character ist repräsentativ für meine aktuelle Forschung, da die Arbeit zeigt, wie man von einer dokumentarischen Untersuchung zu einer Art von gefilmtem Theater übergeht und sogar der darstellenden Kunst nahe kommt. Seit ich angefangen habe, Filme zu machen, habe ich das Gefühl, dass ich die Sprache des Films nicht vollständig verwende, d. h. ich denke viel mehr in Situationen als in Schnitten oder Einstellungen. Ich habe das Gefühl, dass ich ein wenig aus der bildenden Kunst und der gefilmten Performance komme. 

Als die Winston Smiths sich trafen und das Set betraten, war das geskriptet; um das Gespräch wieder in Gang zu bringen, wurden ihnen gelegentlich Absichten für einen möglichen Ausgang zugespielt. Aber es waren ihre eigenen Dialoge, nie gab es eine wörtliche Wiedergabe der für sie geschriebenen Texte. Übrigens mag ich auch die Arbeit mit Ton sehr, ich mag es, den Stimmen der Menschen zuzuhören, wie sie von sich erzählen. Ich denke, das ist es, was mir wirklich gefallen hat: dass die Inszenierung der Ort ist, an dem man von sich selbst in seiner Menschlichkeit erzählen kann. Jetzt, wo ich das weiß, könnte sich meine Arbeit in Richtung von etwas anderem als Film entwickeln.

Kündigen sich noch weitere Neuerungen an?

Manchmal habe ich den Wunsch, eigene künstlerische Mikrokosmen zu schaffen. Ich habe den echten Wunsch, gesellschaftlich etwas zu verändern, und gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Kunst hier machtlos ist. Also frage ich mich: Wie kann der Kunstmarkt der Stadt und den Menschen, die an meinen Projekten mitwirken, helfen? Es scheint mir wichtig, sich als ursächlich für etwas zu fühlen, nicht nur der Künstler zu sein, der irgendwo vor Ort tätig wird, Formen schafft und dann verschwindet.