LEAP22 Mary-Audrey Ramirez
Mary-Audrey, du beziehst dich in der Arbeit auf die digitale und die physische Welt gleichermaßen. Würdest du sagen, dass sie von einer der beiden stärker beeinflusst ist?
Ich interessiere mich für den Unterschied zwischen dem Digitalen und dem Physischen, für das Spiel mit der Grenze zwischen diesen beiden Welten. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von „der realen Welt“ und „der nicht-realen Welt“, weil beide Welten real sind. Ich habe mich schon immer von Videospielen inspirieren lassen. Je nachdem, welche Spiele man spielt, kommt es manchmal zu einer Phantom-Haptik, einen Phantom-Geschmack oder ‑Geruch. Man möchte Teil dieser Welt werden, obwohl man weiß, dass das nicht möglich ist. Auch das versuche ich in meiner Arbeit umzusetzen.
Hinzu kommt, dass ich generell nicht gut darin bin, mit Dingen zu arbeiten, die bereits existieren. Wollte ich ein Wesen schaffen, das auf einem Objekt sitzt, müsste ich das Objekt selbst machen. Wenn ich beispielsweise irgendeinen Stuhl nehmen und eine meiner Skulpturen darauf platzieren würde, dann würde irgendjemand rufen: „Oh, genau den gleichen Stuhl hatte meine Großmutter auch!“. Ich möchte aber nicht so eng mit einer menschlichen Erfahrung in Verbindung gebracht werden. Ich ziehe es vor, dass jemand beim Anblick meiner Libellen sagt: „Diese Libellen erinnern mich an eine Kreatur aus einem Videospiel“, denn dann bleibt noch etwas Raum für Fantasie.
Die Kreaturen in sadness reigns, Shrimpboy und die Libellen, sind allerdings alle weiß, weit entfernt von den grellen, bunten Welten, wie man sie häufig in Videospielen findet.
Es gab einen Punkt, an dem meine Arbeiten überall auf den Social-Media-Plattformen und sogar als Hintergrund für Q&As zu finden waren. Ich will nicht, dass das noch mal passiert, also habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, dies zu verhindern. Eine Plattform wie Instagram nutzt KI, um Bilder nach Formen zu durchsucht, die es sich zu pushen lohnt. Der Trick besteht darin, dass die KI Schwierigkeiten hat, die Bilder zu scannen, wenn ich alles in Weiß mache.
Das macht es auch schwierig, das Werk zu fotografieren, und obwohl die Fotografin gute Arbeit geleistet hat, sieht es auf den Bildern bei weitem nicht so magisch aus wie im Raum. Das gefällt mir eigentlich ganz gut, denn oft war es genau umgekehrt. Ich hoffe, dass die Magie in den Rotondes zurückkehrt! (unten: sadness reigns at MARTINETZ (Cologne), Fotos: Tamara Lorenz)
Welches Material hast du verwendet? Shrimpboy sieht auffallend glatt aus.
Ich habe die Muster entworfen und alles selbst aus Vinyl genäht. Als ich den Vinylstoff sah, erinnerte er mich an diese 3D-Renderings aus der Zeit, als 3D-Software noch beschissen und die Oberflächen meist glänzend und glatt waren.
Das Lustige ist, dass mich manche Leute beim Betrachten eines Bildes der garnelenartigen Kreatur am Boden fragen, ob es sich um ein Rendering handelt. Und wenn sie die Libellen sehen, fragen sie mich, ob sie mit dem 3D-Drucker gemacht sind. Beim LEAP werde ich auch ein neues Video von Shrimpboy zeigen, wie er im Schnee liegt. Ich habe es gerade ein paar Leuten auf meinem Handy gezeigt und sie haben nicht gemerkt, dass es CGI ist. Mir gefällt es, wenn die Leute nicht sagen können, was echt ist und was nicht. Es entsteht eine gewisse Neugier, die wiederum Raum für Fantasie lässt.
Sind Wettbewerbe wie der LEAP für dich ein notwendiger Schritt in einer Künstlerkarriere?
Ich würde den LEAP nicht als Wettbewerb bezeichnen, eher als Plattform, die neue, junge zeitgenössische KünstlerInnen repräsentiert und zeigt. Ich glaube, die meisten KünstlerInnen mögen die Idee nicht, gegeneinander anzutreten. Ich habe viel Sport gemacht, ich weiß, was es heißt, zu trainieren, um eine bestimmte Stufe zu erreichen. Aber bei einem „Kunstwettbewerb“ gibt es keine Fairness beim Gewinnen. Mir geht es vor allem darum, eine gute Ausstellung zu machen und neue, unterschiedliche Kontakte zu knüpfen. Es macht natürlich auch Spaß, meine Arbeiten in einer neuen Umgebung und zusammen mit anderen Kunstwerken zu zeigen.
Mit jeder Ausstellung bewege ich mich auf ein zukünftiges Projekt zu, weil es immer einen Moment der Einsicht gibt, an dem mir klar wird, dass ich in diese Richtung weitergehen oder aber nie auf diese Weise arbeiten möchte. Beim LEAP war ich durch die extrem massiven Decken gezwungen, mir eine andere Lösung zu überlegen und neu über mein Werk nachzudenken. In dieser Hinsicht handelt es sich um eine Erfahrung, die ich mit in die Zukunft nehmen werde.