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Flip off Marie Paccou

Manchmal ist mir, als würde ich das Porträt eines Buches machen.“
© Marie Paccou

Vom 21. Januar bis zum 12. Februar können die BesucherInnen der Ausstellung Flip off durch die Daumenkinos von rund 15 IllustratorInnen und GrafikerInnen aus Luxemburg und anderen Ländern blättern. Aus diesem Anlass haben die Rotondes Marie Paccou damit beauftragt, einen luxemburgischen Klassiker in ihrem Stil umzugestalten.

Marie, wie kannst du es wagen, in Bücher zu malen?!

Ich traue mich das, weil mir das Resultat so gut gefällt! Ich habe mit dieser Reihe begonnen, als ich von einer Mediathek eingeladen wurde, einen Workshop zur Gestaltung von Daumenkinos zu leiten. Im Kontext einer Mediathek hat mir die Tatsache, dass das Schreiben und Zeichnen in Büchern etwas Grenzüberschreitendes hat, sehr gefallen! Außerdem wandelt sich das Medium Buch gerade, die jüngeren Generationen nutzen andere Kulturträger und die Mediatheken haben Bücher zum Wegwerfen.

Hast du alle Bücher gelesen, die du verwendest?

Anfangs habe ich nur in Büchern gezeichnet, bei denen ich sicher war, dass ich sie nie wieder lesen wollte. Generell mache ich ein Daumenkino nie aus einem Buch, das ich gerade erst gelesen habe, denn man braucht etwas Zeit, um zu wissen, ob man es behalten will. Im Augenblick des Zeichnens habe ich also keine lebendige, genaue Erinnerung mehr an das Buch.

Was Renert anbetrifft, das Buch, das ich für die Ausstellung illustriere, so habe ich es nie gelesen, da ich kein Luxemburgisch lesen kann. Aber ich habe viele Texte zum Thema gelesen und auch den Roman de Renart, den Fuchsroman. Manchmal ist mir, als würde ich das Porträt eines Buches machen, und genau das war bei Renert der Fall.

Was ist dir davon in Erinnerung geblieben?

Im Roman de Renart wird Renart zum Tode verurteilt, aber es gelingt ihm, den König zu verführen, ihn zu verwirren und seine Freiheit zurückzugewinnen. In meinem Renert behalte ich die Tiermetapher bei. Die Farbe Orange hat mir beim Zeichnen eine gewisse Freiheit ermöglicht, weil sie allein schon auf den Fuchs verweist. Dann habe ich einen Gegenstand, ein Seil, als roten Faden verwendet. Am Ende sperrt Renart den König und den gesamten Hofstaat ein, rennt davon und lässt den großen, vom Seil gehaltenen Haufen gestikulierender Adliger hinter sich. Das ist eigentlich nicht in der Geschichte enthalten, aber es war meine Art, die Geschehnisse im Roman de Renart zu verdichten. Es ist eher eine Zusammenfassung von Renarts Charakter als vom Buch selbst. (unten: Recherche für die Illustration des Buches Renert)

Hat das Layout des Buches deine Zeichnungen beeinflusst?

Ich habe zu Beginn der Reihe nur an Büchern gearbeitet, die ausschließlich aus Text bestanden. Das machte es einfacher, zeichnerisch einzugreifen, weil meine Zeichnung optisch hervorstach. Hier war es für mich ein bisschen neu und interessant, dass das Buch viele Abbildungen enthält. Da sich die Bilder von Seite zu Seite ändern und die Buchseiten mit 12 Bildern pro Sekunde gefilmt werden, ist in grafischer Hinsicht schon sehr viel los.

All diese gedruckten Bilder, Radierungen und Fotografien erzeugen etwas, was ich als Rauschen“ bezeichne – und das ist in diesem Fall ziemlich präsent. Ich habe also mit Farben gearbeitet, um mich von dem schwarz-weißen Medium abzuheben. Und ich habe mit dem Pinsel gearbeitet, damit man die Animation trotz dieser eigenen kleinen Welt aus Radierungen und Text im Hintergrund gut erkennen kann.

Sobald ein Strich einmal auf der Seite gesetzt ist, gibt es kein Zurück mehr. Wie geht man mit diesem Risiko um?

Wenn ein Graveur mit dem Hohlmeißel ein Stück aus einer Holzplatte entfernt hat, kann er das nicht mehr rückgängig machen. Bei mir ist das wohl ähnlich. Es ist kompliziert, weil es viele Momente gibt, in denen ich etwas zeichne und das Gefühl habe, dass es nicht gut ist, aber man muss weitermachen. Ich habe bei Kurzfilmen mit digitalen Werkzeugen gearbeitet, und es ist auch schwierig, mit dem Wissen zu arbeiten, dass man später alles wieder ändern kann.

Ich habe einen Film in After Effects gemacht, mit einem ganzen Team. Wir hatten viele Ebenen und kleine Stückchen. Letztendlich haben wir aber nicht viele vollständige Versionen von diesem Film gemacht. Bei der traditionellen Arbeit hingegen gibt es keine Ebenen, keine Spezialeffekte und keine Filter. Alles, was man im Video sieht, ist auch im Objekt vorhanden, was das Original genauso sehenswert macht wie den Film.

Das Besondere an deinen Büchern ist, dass die Leute sie vor allem in ihrer Filmversion kennen und sie nicht dazu bestimmt waren, bearbeitet zu werden.

In gewisser Hinsicht sind das Tantalusqualen, denn Bücher sind dazu da, bearbeitet zu werden. Zugleich sind sie jedoch auch wertvolle Objekte, weil sie einzigartig sind. Die Frage bei meinen Büchern ist, wie schnell man meine Zeichnungen anschaut. Als ich Filme machte, waren die Zeichnungen nur die Reste“ einer Arbeit, bei der es darum ging, Projektion und Licht zu erzeugen. Wenn man Zeichentrickfilme macht, beeilt man sich, man rennt, man macht ein Bild nach dem anderen und man darf nie mit einem Bild zufrieden sein, man muss immer schnell zum nächsten übergehen. Seit ich Ausstellungen mache, zeige ich auch den unbewegten Animationsfilm oder einen Teil der Animation. Ich habe das Gefühl, ich nehme sozusagen ein wenig Tempo raus.

Könntest du uns spontan etwas nennen, das dich bildlich geprägt hat, und aus welchem Grund?

Der Film Der Mann, der Bäume pflanzte, von Frédéric Back. Was mich an diesem Film beeindruckt, sind die Übergänge. Der Schnitt ist sehr fließend, und es gibt eine Art Metamorphose, ein Morphing von einer Einstellung zur nächsten. Aus demselben Grund gefiel mir auch Caroline Leafs Film La Rue/​The Street. Zwischen den Einstellungen gibt es eine Bewegung, es gibt keinen abrupten Wechsel von einem Raum in einen anderen, alles ist miteinander verbunden und fließend. Ich behalte also eher die Übergänge als die Bilder in Erinnerung: Sie sind wie Musik.