LEAP22 Lynn Klemmer
Lynn, in deiner Praxis hinterfragst du digitale Umgebungen und den Platz des Menschlichen. Wird das auch ein zentraler Aspekt deines Beitrags für die Gruppenausstellung sein?
Während meiner Residenz im Casino Display hatte ich endlich das Vergnügen, größere Skulpturen machen und mit dem Raum arbeiten zu können, nicht nur am Computer. Ich hatte noch nie ein eigenes Studio, sondern habe immer in eher kleinen Wohnungen gewohnt und in einem Raum gelebt, geschlafen und gearbeitet. Durch die Residenz bin ich offen geworden für einen neuen Ansatz der Kunstproduktion, sie hat mich dazu gebracht, meine Praxis zu ändern, und die LEAP-Ausstellung gibt mir die Gelegenheit, an diese Entwicklung anzuknüpfen.
Ich werde den Film What Fires Together Wires Together zeigen, den ich im letzten Jahr fertiggestellt habe. Darin geht es um die Formbarkeit des Gehirns, um Elektrizität und die vom Fiktiven ausgehende Spannung. Außerdem wird es auch neue Skulpturen geben. Die Idee ist, den Film neu zu betrachten, um noch andere Aspekte anzusprechen, mit denen ich ihn in Verbindung bringe, insbesondere in Bezug auf Elektrizität und Energie als materielle, unsichtbare, technologische und soziopolitische Kraft. Für mich bietet der LEAP-Preis also die Möglichkeit, neue Ansätze zu finden. Etwas zu zeigen, das bisher noch niemand gesehen hat, birgt ein gewisses Risiko, aber ich habe mich für einen bestimmten Weg entschieden und kann jetzt nicht anhalten. Mir ist es wichtiger, meinen Ansatz weiterzuentwickeln, als mich zu sehr auf eine Jury zu konzentrieren, insbesondere als junge Künstlerin.
Du bist dabei, das Medium deiner Wahl zu wechseln – vom Digitalen und vom Film zu eher physischen Materialien?
Es liegt eine gewisse Ironie darin, sich mit Themen zu beschäftigen, in denen es um Digitales, Technologien, Computer und Algorithmen geht: Man kritisiert die Dinge, mit denen man arbeitet. Aus diesem Grund arbeite ich auch häufig mit anderen Materialien, insbesondere mit Stoff. Durch die Art und Weise, wie er hergestellt wird, das Weben, wird eine Art Raster erzeugt, das sich auch im Digitalen wiederfindet. Man stößt auf Ähnlichkeiten, und ich bin an einem Punkt angelangt, an dem es interessanter wird, die greifbare Welt zu erforschen, um die digitale zu denken.
Gleichzeitig achte ich darauf, nicht strikt zwischen digitaler Welt und realer Welt zu unterscheiden, sie nicht zu getrennten Welten zu machen. Wenn man über Technologien und die virtuelle Welt nachdenkt, beschäftigt man sich auch mit seiner Wahrnehmung der realen Welt.
Ich denke auch häufig über den Dualismus Natur / Technologie nach. Als ich mit der Konzeptkunst begonnen habe, waren das für mich Kategorien, die sich gegenseitig widersprechen. Aber wir haben die Technologien geschaffen, sie stammen von uns, und wir sind Teil der Natur. Im Inneren von Computern findet man sogenannte Motherboards. Sie sind immer grün, ihr Name erinnert an Mutter Natur … Diese Verbindung fasziniert mich. (unten: What Fires Together Wires Together, Fotos © Mathieu Buchler)
Welche Veränderungen hast du abgesehen von den Medien, die du verwendest, sonst bereits in deiner Praxis bemerkt?
Bei Fortune Cooki und Head in the Clouds, in denen es um Internet-Cookies und die Materialität der digitalen Welt ging, habe ich einen eher erzieherischen Ansatz verfolgt, ich wollte durch Erklärungen etwas verständlich machen. Aktuell schaffe ich Verbindungen und Spannungen. Ich sage die Dinge in meiner eigenen Sprache, weil mir klar geworden ist, dass ich meine Ideen auf eine direktere und instinktivere Art und Weise ausdrücken muss, statt sie zu übersetzen. Ich schaffe Atmosphären, die das Publikum versteht, indem es sie spürt. Man weiß nie, was das Publikum denken wird, wenn es vor einem Kunstwerk steht, aber die Atmosphäre, das Gefühl, das ist das Wichtigste.
Betrachtest du den LEAP als einen Meilenstein in deiner Karriere?
Ein großer Schritt in meiner Karriere bestand darin, mich überhaupt erst als Künstlerin vorzustellen. Ich habe mir gesagt: „Du bist keine Studentin mehr, du hast Ausstellungen gemacht, du hast eine Residenz bekommen, du kannst sagen, dass du eine Künstlerin bist!֧“ Aber gleichzeitig habe mir gesagt, dass ich nicht etabliert genug und zu jung bin etc. Als ich dann doch begonnen habe, das zu behaupten, war das wirklich eine Veränderung.
Als KünstlerIn verbringt man die Hälfte seiner Zeit mit der Suche nach einer Möglichkeit, ausstellen zu können. Die andere Hälfte besteht in der Arbeit. Aber das ist mir erst später klar geworden! Das ist einer der Gründe, warum ich mich beworben habe: Immer auf der Suche zu sein und für die Zukunft zu planen, gehört zum Beruf.